December 9-12, 2013”

 

Seit dem 10. Dezember 2010 findet jedes Jahr am Tag der Menschenrechte eine Konferenz in Kirkuk statt. Ursprünglich ist dies auf die Zusammenarbeit der Universität Kirkuk und dem Felsberg Institut für Bildung und Wissenschaft zurückzuführen. Die Initiative wurde 2013 erweitert um die Universität Erlangen-Nürnberg und die Universität Salahaddin in Erbil, Irak-Kurdistan. Thema der Vorträge und Diskussionen ist stets die Lage der Menschenrechte, Gewalt und Gewaltprävention, Versöhnung zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen, Transitional Justice. Dabei soll auch Bilanz gezogen werden, was sich im abgelaufenen Jahr diesbezüglich verändert hat - positiv wie negativ. Für die Konferenz im Dezember 2013 bot sich zudem eine Bilanz der letzten zehn Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins an. Im März 2003 waren amerikanische und britische Truppen in den Irak einmarschiert und haben eine Wende im Land herbeigeführt, die von einigen als Befreiung, von anderen als Besatzung angesehen wird. Wieder andere sprechen vom größten anzunehmenden Chaos, das seitdem im Zweistromland herrscht.

 

 

 

 

Da die Kooperationspartner sich verdoppelt hatten, war die Anzahl der Teilnehmer entsprechend vielfältig. Allein aus Deutschland waren über 20 Expertinnen und Experten angereist, Vortragende und Studierende  gleichermaßen. Die Studierenden entstammten dem Zentrum für Irak-Studien der Universität Erlangen-Nürnberg. Vortragende aus Kolumbien, den USA, Frankreich, der Türkei, dem Iran und Ungarn waren vom Felsberger Institut für Bildung und Wissenschaft (FIBW) eingeladen worden. Von Seiten der Universität Kirkuk war das Interesse besonders groß. Neben zahlreichen Akademikern aus dem ganzen Irak, nahmen über 70 Studenten und Studentinnen teil. Auch die Salahaddin Universität Erbil hatte Studierende und Vortragsgäste, zumeist aus Kurdistan, eingeladen. Was Qualität und Vielfalt der Vorträge anbelangt, so war dieses Mal eine enorme Steigerung zu beobachten. Die Mischung der thematisch festgelegten Panels mit internationalen und irakischen Vortragenden war sehr gelungen. Die Veranstalter achteten darauf, dass die im Vorfeld eingereichten Abstracts zusammenpassten oder sich ergänzten. Die Besetzung der Panels war exzellent.

 

 

 

 

 

Kurze Zusammenfassung der Panel-Vorträge:

 

 

 

Im ersten Panel der Konferenz, das Institutionalisierung und Staatsaufbau im neuen föderalen Irak thematisierte, fasste Taha Hameed Hassan die politischen Entwicklungen der letzten 10 Jahre kritisch zusammen. Er bezeichnete die politischen Leitlinien als fehlerhaft und beklagte verfassungsrechtliche Mängel nach 2005. Nach einem Jahrzehnt seien politische Verantwortlichkeiten und Leitlinien unklar, die irakische Politik und Verwaltung sei nicht systematisch organisiert, orientiere sich nicht an Fachkompetenz und werde nicht ausreichend evaluiert. Taha Hameed Hassan rief insbesondere die ausgebildete Elite des Landes zur allgemeinen demokratischen Beteiligung auf.

 

Daniel Heilmann und Omar Faraj betrachteten die föderalen Strukturen des irakischen Staatsaufbaus, die bislang weder zu verlässlicher Sicherheit noch zu Rechtstaatlichkeit geführt hätten. So wurden verschiedene in der Verfassung vorgesehene Vorhaben nicht realisiert, darunter der ‚federal council‘ – der dem deutschen Bundesrat entsprechen könnte – der Kräfteausgleich zwischen Zentralregierung und Provinzen oder die Fortentwicklung de Dezentralisierung. Salam Abid Ali diskutierte das Spannungsverhältnis von Freiheit und sozialer Entwicklung für den Irak. Er sprach sich für einen ökonomischen Wiederaufbau und eine umfassende Umverteilung aus, um – bei aller Auseinandersetzung um den Freiheitsbegriff – die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen zu stillen, den allgemeinen Lebensstandard zu heben und die Sicherheitslage zu stabilisieren.

 

 

 

Das zweite Panel mit dem Titel „Transitional Justice and National Reconciliation“ eröffnete Hussein Abid mit einem Vortrag zur Strafjustiz nach Saddam Hussein. Zunächst ging er hierzu auf die Wiederinstandsetzung und Durchsetzung von Recht in der Transitionsphase von 2003 bis 2005 und das Verbot der Baath-Partei ein. Während inzwischen einerseits eine Reihe strafrechtlicher Gesetze entstand, besteht andererseits Unmut über das weitreichende Eingreifen der Exekutive in die Arbeit der Übergangsjustiz. Angesichts der schwierigen Geschichte gestalte sich die Implementierung von Recht schwierig, weshalb Hussein Abid in Anlehnung an Nelson Mandela zu grundsätzlicher Toleranz und Zukunftsorientierung mahnte.

 

Feisal Al-Istrabadi kommentierte Verfasstheit und Arbeit des „Iraqi Supreme Criminal Tribunal“. Er stellte zunächst einmal fest, dass bis zur Wende von 2003 das irakische Justizsystem wesentlich intakt gewesen sei, da die politischen Gerichtsverfahren unter Saddam in außerordentlichen Gerichten und außerhalb des offiziellen Rechtssystems durchgeführt wurden. Daher hätte dem herkömmlichen Rechtswesen eine größere Rolle in der Übergangsjustiz zukommen sollen als dem neu eingerichteten obersten Strafgerichtshof als einem wiederum außerordentlichen Gericht. Feisal Al-Istrabani wandte sich zudem gegen die Ansicht, Gerichtsverfahren könnten eine historische Wahrheitsfindung leisten – sie entschieden vielmehr über Schuld.

 

Yousif A. Zamal und Zenab M. Salah sprachen sich aufgrund der begangenen Menschenrechts-verletzungen für eine Übergangsjustiz aus. Der Sturz der Regierung 2003 hätte dabei das Ende der Menschenrechtsverletzungen bedeuten müssen, die jedoch nach wie vor anhielten. Übergangsjustiz müsse deshalb an einen Prozess der nationalen Versöhnung gekoppelt werden. Yousif A. Zamal und Zenab M. Salah erinnerten in diesem Sinne an historische Beispiele wie die Nürnberger Prozesse oder die internationalen Jugoslawien- oder Rwanda-Gerichte. Internationale Rechtsprechung solle hierzu als Beispiel dienen und könne lokalen Bedingungen und Bedürfnissen angepasst werden. In der komplexen Situation des Irak müsse das Ziel nationaler Versöhnung breiten Raum einnehmen und neben dem Aufbau verlässlicher staatlicher Institutionen nicht zuletzt die Bekämpfung materieller Notlagen mit einbeziehen. Die Vortragenden erinnerten aber auch daran, dass ein solcher Prozess langwierig und wohl mit mehreren Dekaden bis zum Erfolg zu rechnen sei.

 

 

 

Für den zweiten Tag der Konferenz - 10. Dezember - konnten wir den stellvertretenden Leiter der UN-Mission in Bagdad, Gyorgy Busztin, als Keynote Speaker gewinnen. Er eröffnete den Konferenztag mit dem Hinweis auf den Tag der Menschenrechte, einem Hauptanliegen seiner Mission. Anschließend erläuterte er die schwierige Rolle der UNO im Irak, die neue Bedeutung nach dem Abzug der US-Truppen Ende 2011 und das Konzept der Weltorganisation für die nächsten Jahre. Noch immer hätten sich die UN-Mitarbeiter nicht von dem Schock erholt, als der Sonderbeauftragte und viele andere durch den heftigen Bombenanschlag im August 2003 getötet wurden und die Arbeit der Organisation im Irak für die kommenden Jahre praktisch eingestellt war. Auch heute noch seien einige UN-Organisationen in der jordanischen Hauptstadt Amman beheimatet, arbeiteten aber zum Irak. Um eine dauerhafte Befriedung im Irak zu erreichen, brauche man einen langen Atem, so Busztin. Transparente und faire Wahlen, Gewalten- und Ressourcenteilung, Gesetzestreue, die Akzeptanz der Menschenrechte sowie der Aufbau von effektiven staatlichen Strukturen seien hierfür unerlässlich. Dafür benötige man eine funktionierende Zivilgesellschaft, die es derzeit im Irak noch nicht gibt, deren Aufbau aber unbedingt gefördert werden müsse.

 

 

 

Abschließend ist zu bemerken, dass das Ziel der Konferenz, einerseits in interdisziplinär und international besetzten Panels verschiedene Bereiche der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen im Irak kritisch zu diskutieren, erreicht wurde. Ob wir mit dieser Konferenz zu einem dauerhaften Dialog zwischen arabischen und kurdischen Wissenschaftlern, Politikern und NGOs beitragen konnten, sei aber dahingestellt. Indes, den sechs Workshops der Konferenz, die ausschließlich für Studierende konzipiert waren, attestierten alle Referenten eine überaus interessierte Teilnahme. Die Studierenden waren engagiert und baten um mehr derartige Veranstaltungen. Die Evaluation des Workshops zum Thema Menschenrechte soll dies verdeutlichen:

 

 

 

Workshop: Human Rights

 

 

 

Im Rahmen der Konferenz „Iraq: 10 years on – stocktaking and perspectives“, die das Felsberger Institut e.V., das ‚Centre for Iraq Studies‘ der Universität Erlangen-Nürnberg und die Universitäten Salahaddin und Kirkuk vom 9 zum 12 Dezember 2013 in Erbil, Kurdistan, Irak gemeinsam organisierten, fand am Mittwoch den 11.12.2013 ein Workshop zum Thema „Human Rights“ unter der Leitung von Dr. Magnus Treiber, Universität Bayreuth, statt.

 

Der vierstündige Workshop (10-14 Uhr) fand rege Beachtung, insbesondere unter den angereisten Studierenden der juristischen Fakultät der Universität Kirkuk. Mit großem Interesse nahmen etwa 25 junge Frauen und Männer teil.

 

Der Referent stellte in einem ersten Arbeitsschritt die unterschiedlichen Blickwinkel vor, aus denen diverse akademische Disziplinen das Themenfeld Menschenrechte betrachten – darunter Recht, Politikwissenschaften, Geschichte, Philosophie, Soziale Arbeit und Ethnologie – und führte dann in den historischen und politischen Entstehungskontext der ‚Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte‘ von 1948 ein. In einem zweiten Schritt wurden maßgebliche Entwicklungen und Folgetexte, menschenrechtsbezogene Gremien und organisatorische Mechanismen der Vereinten Nationen vorgestellt und einzelne Paragraphen beispielhaft herausgegriffen, um das Spektrum der 1948 formulierten Menschenrechte aufzuzeigen und politische Debatten nachvollziehbar zu machen, die um die etwaig unterschiedliche Wertigkeit individueller und sozialer Rechte oder um den Gegensatz eindeutig und eher vage formulierter Rechte – etwa dem Recht auf Eigentum oder politisches Asyl vs. dem Recht auf kulturelle Partizipation – entstanden. Mit Blick auf historische Entwicklung und unterschiedliche politische Durchsetzung wurden die allgemeinen Menschenrechte wesentlich als Anspruch und unabgeschlossener Prozess charakterisiert.

 

Der dritte Teil des Workshops war der breiteren wissenschaftlichen Debatte um die Menschenrechte gewidmet, die in Deutschland etwa Jürgen Habermas, Stefan Gosepath, Otfried Höffe und Ernst Tugendhat prägten. Zentrale Fragen, die hier aufgeworfen wurden, waren: Inwieweit spiegelt der universale Anspruch der Menschenrechte partikulare Rechts- und Moralverständnisse? Bedrängt hier westlicher Individualismus partikulare Kultur und Religion? Überdeckt der Ruf nach Menschenrechten außenpolitische Interessen?

 

Mit Jürgen Habermas, dessen Aufsatz „The Realistic Utopia of Human Rights“ (2010) in Auszügen bearbeitet wurde, konnte insbesondere die Ambiguität der Menschenrechte als Moral und als Recht diskutiert werden, die es nach Habermas nutzbar zu machen gilt.

 

Mit Blick auf die Arbeiten Mark Goodales (2006), Julia Eckerts (2010) und Annette Hornbachers (2013) fasste der letzte Arbeitsschritt schließlich neue Ansätze einer ‚anthropology of human rights‘ zusammen, die nicht nur lokale Diskurse und Praxen dokumentiert, begleitet und interpretiert, sondern auch zur Positionierung und Inanspruchnahme allgemeiner Menschenrechte in lokalen Kontexten aufruft.

 

Trotz erheblicher Sprachschwierigkeiten, die die langjährige Isolation irakischer Universitäten und nicht zuletzt die Notwendigkeit internationaler Beziehungen und Kooperationen verdeutlicht, entspann sich im Anschluss dank der beteiligten Englisch-Arabisch-Dolmetscher eine lebhafte Diskussion. Insbesondere wurde die schlechte Menschenrechtslage im Irak angesprochen, die aus dieser Perspektive zu der Frage führten, ob Menschenrechte überhaupt für die nicht-westliche Welt angelegt seien. Jedenfalls schienen sie den meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern hier praktisch bedeutungslos zu sein. Auch die unter den Studierenden – im Rückblick auf die irakische Geschichte – deutlich wahrgenommene Diskrepanz zwischen international angeprangerten Menschenrechtsverletzungen im Nachbarland Syrien und zurückhaltender westlicher Außenpolitik war ein Hauptthema der Diskussion. Man verständigte sich jedoch darauf, den in den Menschenrechten formulierten Anspruch gerade deshalb nicht aufzugeben, sondern zur Basis konkreter Forderungen zu machen.